Geburt, damit
assoziieren wir nicht nur Strampelanzüge, sondern vor allem
Schmerz, Angst und Trauma. "Mit Schmerzen sollst du Kinder
gebären", droht schon die Bibel und unsere Gesellschaft hat es
wahr werden lassen. Es sind Bilder von schmerzerfüllt
schreienden Müttern, die uns unwillkürlich vor das innere Auge
springen, wenn wir an Geburt denken.
Aber eine wachsende Zahl von Frauen macht eine ganz andere
Erfahrung und behauptet, dass dies nichts als eine
gesellschaftliche Programmierung ist. Tatsächlich könne die
Geburt eines der ekstatischten Erlebnisse sein, die eine Frau
überhaupt machen kann - und das Kind könne statt traumatisiert
mit einer Welle orgasmischer Glücksgefühle an den Strand unserer
Welt gespült werden. Eine Orgasmische Geburt - das klingt
ziemlich unglaublich und stellt einen Glaubenssatz in Frage, den
die meisten Menschen nicht im Traum in Zweifel ziehen würden.
Hören wir uns das Erlebnis einer dieser Frauen mal an.
Himmlischer Orgasmus
Pearl Shanti hatte zwei sehr schwere Geburten, die zweite so
kompliziert, dass sie sich während des Prozesses für einen
Kaiserschnitt entschied. Als sie mit ihrem dritten Kind
schwanger war, traf sie die Entscheidung diesmal einen anderen
Weg zu gehen. "Ich entschied mich, dass ich das nächste mal so
gebären würde, wie es einer Frau bestimmt ist, zu gebären. Ich
wollte die volle Kontrolle über die Geburt und zu 100% Frau
sein. Ich wollte eine natürliche Geburt ohne Schmerzmittel."
Trotz des Traumas, der verletzten Vagina und der Narbe vom
Kaiserschnitt, wurde ihr Wunsch war: "Als ich das dritte Kind
bekam, geschah es mit Liebe, Freude und einem himmlischen
Orgasmus!" Da Pearl Shanti selbst zwei schwere Geburten hatte,
ist sie sich durchaus bewusst, dass dies für die meisten Mütter
wie ein verrücktes Märchen oder eine Provokation klingen dürfte.
Dabei ist es ihrer heutigen Ansicht nach der natürliche Weg.
"Frauen sind natürlicherweise dafür geschaffen in Freude und
ohne Schmerz zu gebären, wir haben es nur vergessen. Zu gebären
ist genauso genussvoll wie die Empfängnis, es ist ebenso intim,
wie Liebe zu machen. Ein Erlebnis zwischen Mutter, Vater und dem
Kind ... allen Dreien."
Entspannung
Wie kann das möglich sein? "Da ich Heilerin und
Rebirthing-Trainerin bin, wusste ich, dass es sehr einfach ist,
Schmerz in Genuss zu verwandeln." Tatsächlich werden bei der
Geburt die gleichen Hormone ausgeschüttet, wie beim Liebesakt -
nämlich unter anderem Oxytocin, Endorphine und Adrenalin - und
wenn es der Frau gelingt, sich der Geburt in gleicher Weise
genussvoll hinzugeben wie dem Liebesakt, entsteht auch ein sehr
ähnliches Erlebnis. Letztlich hat das Bewusstsein der gebärenden
Frau offenbar sehr viel damit zu tun, wie sie die Geburt erlebt.
"Es ist unsere Erwartung, die bestimmt, wie wir Schmerz
wahrnehmen. Wenn wir Schmerz erwarten, spannen wir unsere
Muskeln an, dadurch werden Stresshormone ausgeschüttet und das
erhöht das Schmerzgefühl", erklärt Frauenärztin Dr. Christiane
Northrup.
Unser gesellschaftliches Konzept von Geburt als Schmerz ist
damit gleichzeitig auch der Grund für die leidvolle Erfahrung
von Schmerz. Natürlicherweise würde der spezielle Hormoncocktail
und die Stimulation von Lustpunkten bei der Geburt die Schmerzen
ebenso erfolgreich transformieren wie ein Opiat.
Für die Frau bedeutet der Weg zu orgasmischen Geburt vor allem:
Entspannung und Geborgenheit. Und unsere Gesellschaft hat
wirklich ihr Bestes gegeben, um diese von vornherein zu
verhindern. Alleine die Tatsache, dass Geburten hauptsächlich
in einem Gebäude namens "Krankenhaus" stattfinden, sollte einem zu
denken geben und sortiert den Beginn unseres Lebens in eine
Kategorie zwischen Blindarm-OP und Autounfall ein. Insgesamt hat die
klinische Geburt vielfach in etwa den Charme einer Notoperation
bei örtlicher Betäubung.
"Wie kommt es, dass die normale Sichtweise auf Geburt in unserer
Gesellschaft von Schmerz und Notfall beherrscht wird und der
Ansicht, dass es eine schreckliche Erfahrung ist, die man
überstehen muss?", fragt auch Filmemacherin Debra Pascali-Bonaro,
die mit "Orgasmic Birth" die erste Dokumentation zum Thema
gedreht hat. Ein Film, der weltweit für Aufsehen sorgte und
in vielen großen Zeitungen begeistert besprochen wurde.
Es ist vor allem eine Frage des Wohlfühlens. Unsere
Assoziationen und das ganze Umfeld der Geburt verhindern fast
mutwillig die Ausschüttung von Oxytocin und damit ein angenehmes
Geburtserlebnis. Denn Oxytocin wird dann ausgeschüttet, wenn wir
uns geborgen und entspannt fühlen, möglichst bei gedämpftem
Licht und ohne äußere Störungen - nicht unbedingt die üblichen
Verhältnisse in den meisten Kreissälen.
"Wir wissen sogar, dass man Tiere bei der Geburt nicht mit
hellen Lichtern oder einer Menge Leute umgeben darf", wundert
sich Pascali-Bonaro.
Einfache Regel: Die Umgebung bei der Geburt sollte der
entsprechen, die wir uns auch beim Liebesakt wünschen. Schöne
Lichtverhältnisse, ein angenehmer Raum oder gar die Natur,
eventuell Düfte und Musik, keine fremden Menschen, keine
Gespräche, Intimität und Nähe.
"Wenn wir einem Liebespaar während ihres Liebesspiels laufend
Anweisungen geben würden, wie sie einen Orgasmus erreichen
können, würde sie das komplett verstören und die
Hormonausschüttung würde nicht stattfinden. Man hat nicht Sex
mit einer Gruppe applaudierender Zuschauer, aber bei der Geburt
akzeptieren wir das", meint auch Hebamme Gail Tully.
... und Transformation Für Pearl Shanti spielte das Umfeld ebenfalls eine große
Rolle, obwohl sie sich entschied, wegen der Komplikationen bei
ihren vorhergehenden Geburten im Krankenhaus zu entbinden,
überzeugte sie die Ärzte eine ziemlich lange Wunschliste
umzusetzen, um das Umfeld so intim wie möglich zu gestalten:
Licht, Raumgestaltung und Musik, kein elektrisches Licht und
eine Badewanne mit warmem Wasser standen unter anderem auf
dieser Liste.
Während der Wehen begibt sich Pearl Shanti in Meditation,
zentriert sich mit Hilfe von Atemübungen im Körper und entspannt
sich immer wieder in die intensiven Gefühle. Mehr und mehr
stimmt sie ihren Geist auf Hingabe und Loslassen ein. Als die
Wehen stärker werden, gelingt es ihr, sich immer tiefer in die
Kontraktionen und den Prozess zu entspannen und sich zu öffnen.
"Die meisten Frauen verspannen sich wegen des Schmerzes und der
Angst. Die Konsequenz ist, dass der Schmerz immer stärker wird
und der Körper mit Widerstand auf den Geburtsprozess reagiert.
Und wenn der Schmerz sich verstärkt, kommt die Panik und der
Körper verspannt sich noch mehr." Ein Teufelskreis, den sie
selbst von ihren ersten zwei Geburten gut kennt.
"Darum lehne ich mich also in der Badewanne zurück und der
Schmerz wird sofort losgelassen - es ist wundervoll! Es ist, als
ob ich meinen weiblichen Körper beobachte, der sich langsam
öffnet wie eine Lotusblüte. Stell dir vor, du wärest eine Blume.
Die Sonne scheint ihre Strahlen auf die Blütenblätter, die sich
langsam öffnen, um die Strahlen hereinzulassen. Wenn die Blume
im Widerstand gegen diese natürliche Öffnungs-Phase ist, wo die
Strahlen warm und pulsierend sind, wird die Blume bald beginnen,
in Schmerzen zu vibrieren. Denn sie kann nicht gegen das
kämpfen, was natürlich ist. Sie wurde geschaffen, um sich für
das Licht zu öffnen. Sie ist geschaffen, um zu blühen. Wenn sich
die Lotusblume entspannt, statt sich zu widersetzen, kommt die
Freude, als eine funkelnde Welle der Glückseligkeit", beschreibt
Pearl Shanti ihre Erfahrung sehr bildhaft.
Je stärker die Kontraktionen werden, desto tiefer sinkt sie in
eine Trance der Glückseligkeit, beginnt ihren Unterleib
rhythmisch im Uhrzeigersinn zu bewegen, gibt sich immer tiefer
hin. Es ist niemandem erlaubt mit ihr zu sprechen, sie ist
völlig fokussiert.
"Ich fühlte mich eins mit dem Universum, ich fühlte mich wie
eine Frau - eine Göttin."
Mit diesem Gefühl verbringt sie die nächsten Stunden, in einer
fokussierten, meditativen Trance.
"Ich konnte ein Stechen spüren, als der Kopf meines Sohnes
herauskam, aber plötzlich verwandelten sich das Stechen und ein
Schmerz in meinem Rücken zu einem orgasmischen Gefühl und eine
noch tiefere Trance führte mich in noch tiefere Hingabe." Das
erste, was ihr Sohn auf der Welt hört, ist das laute "Yeeeees!"
seiner orgasmischen Mutter.
Intimes Geburtserlebnis...
Ein Orgasmus bei der Geburt sei letztendlich nicht das Ziel,
sondern ein intimes, schmerzfreies und sensuelles
Geburtserlebnis betont allerdings Filmemacherin Pascali-Bonaro,
der Titel ihres Filmes "Orgasmic Birth" sollte vor allem
aufrütteln und die gängigen Assoziationen mit Geburt in Frage
stellen. Dennoch erhalte sie permanent Zuschriften von Frauen,
die solche Erlebnisse haben.
"Ich bekomme wie verrückt E-Mails von Frauen, die mir danken,
dass ich darüber gesprochen habe", berichtet sie. "Da sind
Frauen, die mir schreiben 'Ich hatte den unglaublichsten
Orgasmus und habe es nie jemandem erzählt, weil ich dachte, es
sei unnormal."
... oder lieber Trend zum Kaiserschnitt?
Was normal und was unnormal ist, das muss wohl jeder für sich
selbst entscheiden. Derzeit scheint es einen ganz anderen Trend
zu geben: Mütter, die sich völlig mit Schmerzmitteln betäuben
oder ohne Not einen Kaiserschnitt wählen. Immer mehr Frauen
scheinen eine Operation der natürlichen Geburt vorzuziehen,
wobei es umstritten ist, wie viele diesen Schritt schon von
Anfang an planen.
Fest steht: Jede dritte Geburt ist mittlerweile ein
Kaiserschnitt, eine Operation, die gerademal 60 Minuten dauert,
schmerzfrei ist und als Garantieschein für eine nahezu
risikolose Geburt gilt. Für das Kind gilt er als ungefährlicher
und nicht so traumatisch wie die vaginale Geburt, die Mutter
kann die Geburt zudem auf die Stunde genau planen, entgeht den
Schmerzen und ihr Beckenboden bleibt unbeschädigt. Eine Narbe
von acht Zentimetern und ein paar Tage Krankenhaus sind der
einzige unmittelbare Nachteil - viele Psychologen und Hebammen
gehen aber davon aus, dass es Frauen mit Kaiserschnitt
wesentlich schwerer fällt, eine tiefe Bindung zum Neugeborenen
aufzubauen, weil das intensive Erlebnis, der spezielle
Hormoncocktail und die große Erleichterung der Geburt fehlen.
Ein Umstand, der das Verhältnis zum Kind vielleicht das ganze
Leben beeinflusst.
Geburt als spirituelle Initiation
Frauen, die sich für eine orgasmische Geburt entscheiden,
dürften aber ohnehin auch noch andere Gründe für diese
Entscheidung haben, als nur dem Schmerz zu entgehen. Die Geburt
ist für viele von ihnen auch eine spirituelle Erfahrung, eine
Initiation, die sie tiefer zu ihrer Weiblichkeit führt. Viele
Frauen berichten von tiefen meditativen Erlebnissen, großen
Einheitsgefühlen, inniger Verbundenheit mit dem Partner und
Kind, einem Verschmelzen mit der Schöpfung und Kontakt zu
spirituellen Ebenen und der Seele des Kindes. Die orgasmische
Geburt ist damit auch ein spirituelles Willkommenheißen der
neuen Seele auf der Erde, ohne Trauma, statt dessen in tiefer
Verbundenheit und Freude. Wir mögen uns vorstellen: Was könnte
es für künftige Generationen bedeuten, wenn sich diese Art zu
gebären durchsetzt?
Gesellschaftlich und kulturell kratzt die orgasmische Geburt an
einigen Glaubenssätzen. Das nicht nur die Empfängnis, sondern
auch die Geburt und schließlich das Stillen (viele Frauen haben
Orgasmen beim Stillen) lustvolle und sexuelle Erlebnisse sein
können, stößt noch immer auf viel Unglauben oder sogar
Feindseligkeit - denn wenn dies für die Frau nicht schmerzhaft
oder wenigstens schamvoll geschieht, ist es für viele noch immer
schlicht "pervers". Die Wiederentdeckung des Weiblichen, mit all
ihrer lebensbejahenden Lust, die Wiederentdeckung der
lebensspendenden Göttin ist sicherlich ein großes Thema unserer
Zeit. Und die orgasmische Geburt ist dabei einer von vielen
Bereichen, in denen nun vielleicht endlich wieder Natürlichkeit
einkehren darf.
"Eine natürliche und ungestörte Geburt ist integraler
Bestandteil der weiblichen Sexualität und ein viel missachtetes
Menschenrecht", meint Pascali-Bonaro. "Frauen können die Geburt
als gefühlvoll und genussvoll erleben und in eine natürliche
Ekstase eintauchen. Neue Forschungen zeigen, dass das Erlebnis
einer intimen Geburt das Leben der Frau tief greifend
beeinflusst."
Auch für Hebamme Ina May Gaskin ist die Geburt ein Weg zur
Selbsterkenntnis:
"Es ist möglich, ein ekstatisches Geburtserlebnis zu haben,
tatsächlich ist es der beste natürliche Rausch, den ich kenne.
Und dieser Zustand des Bewusstseins wird am besten erreicht,
wenn eine Frau voll und ganz bewusst und ganz wach ist. Frauen
haben keine Möglichkeit zu wissen, wie ihr Körper wirklich
funktioniert, bis sie es in der Geburt ausprobieren. Ich denke,
Frauen können völlig überrascht sein durch die Veränderung, die
in ihnen durch die Geburt geschieht. Du hast etwas sehr
Machtvolles in dir - etwas Wildes kommt hoch - und ich denke,
Babys brauchen Mütter, die diese Wildheit haben, du hast das
Gefühl, du könntest alles tun."
Frauenärztin Christiane Northrup sieht die Geburt als eine
Möglichkeit für die Frau, ihre Weiblichkeit zu entdecken, die
eine tiefe psychische und spirituelle Transformation zur Folge
haben kann:
"Wenn die Frauen beginnen zu verstehen, was sich uns bei der
Geburt öffnet, dann werden wir diese Geburts-Kraft, diese
orgasmische Macht in unserem Körper nie mehr an die 'Experten'
übergeben. Wenn Du eine Frau triffst, die eine ekstatische
Geburt gehabt hat, kannst du sie nicht mehr überreden, Drogen zu
nehmen, die nicht gut sind für ihren Körper. Du kannst sie nicht
zu einer Hysterektomie überreden, die sie nicht braucht. Sie ist
heimgekommen zu ihrem Körper. Sie weiß, wozu dieser Körper fähig
ist. Sie liebt diesen Körper. Dieser Körper liebt sie. Und es
gibt nichts wie die Transformation durch die Geburt, um dies so
tief in ihr zu verankern, dass sie erleuchtet wird, weil sie ein
Kanal ist für das Leben. Und dann wird sie ein Kanal für das
Leben in all seinen Formen."
Für Pearl-Shanti ist die Verbreitung der natürlichen Geburt zu
einer Berufung geworden. "Mein Ziel ist es, jeder Frau zu einem
bewussten Prozess der Geburt zu helfen, einfach deshalb, weil
jede Frau eine atemberaubend schöne Göttin ist, mit einer
enormen Transformations-Kraft in ihrem Inneren!"